So fand es die Presse

Windelwechsel und Superriesenmöpse
Von Klaus Cäsar Zehrer
Dass der mittlerweile dreiundvierzigjährige Nachwuchsdichter Thomas Gsella zu schönsten Hoffnungen Anlass gebe, habe ich in diesem Forum bereits in der Ausgabe vom Dezember 1999 bemerkt. Sein zweiter Gedichtband hat jetzt meine Hoffnungen aufs Erfreulichste bestätigt, obwohl alle fünfundachtzig Gedichte um ein Thema kreisen, das mich nicht wirklich etwas angeht: Seine 1999 geborene Tochter Rosa.
Nun besteht ja nicht unbedingt ein Mangel an Reimwerk über Kleinkinder aus der Feder stolzer Eltern. Einschlägige Zeitschriften drucken auf ihren Leserbriefseiten immer wieder ein „Gedicht der Woche“, in dem sich „Mutterglück“ auf „bestes Stück“ und „süßer Fratz“ auf „lieber Schatz“ reimen. Erst Thomas Gsella aber blieb es vorbehalten, den schwierigen Beruf des Vaterwerdens und -seins in ambivalenteren und realitätsverpflichteteren Versen zu beschreiben, und zwar von allem Anfang an. Fünf Tage, nachdem der seiner Partnerin Ursula ausbleibt, setzt sein Zyklus ein. Er spart das niederschmetternd positive Ergebnis des B-Tests nicht aus und auch nicht des Dichters beschwörenden Lösungsvorschlag: „Du, Frau, ich hab’s: Wir machen’s wech!“
Ein Vorschlag, der sich, wie wir bereits wissen, nicht durchsetzen konnte, was einem Menschen und einem Buch zur Existenz verhalf. In Letzterem teilt uns Gsella seine Freude darüber mit, „dass zwei Superriesenmöpse / prangen itzt an meiner Ollen“, lässt uns aber auch dabei sein, wenn „das Kind aus tiefstem Grund / mir auf Hemd und Hose kotzt.“ Es wird überhaupt, was freilich in der Natur des Themas begründet liegt, etwas arg viel gekotzt, geschissen und gepisst in dem Bändchen. Auf solch glitschiger Grundlage rutscht man schnell ab in jenen wohlfeilen Modezynismus, der heutiges satirisches Schreiben der unteren Kategorie bestimmt und der sich in der ewig bekräftigten Botschaft gefällt, dass die Welt im Allgemeinen unheimlich eklig und verschissen und Säuglinge im Speziellen nutzlose Quälgeister sind.
Doch billigem Baby-Bashing ergibt sich Gsella nicht. Denn natürlich versagen auch bei ihm die Hormone nicht ihren Dienst: Er liebt seine Rosa, etwas über sich selbst verblüfft anfangs, dann immer inniger. Und diese Liebe ist es, die als Gegengewicht zur ironischen Distanz seine Gedichte immer wieder glücklich die Gefahren meistern lässt, die aller komischen Schreibart lauern: Ironie ohne Liebe erfriert meist in Coolness, Liebe ohne Ironie versumpft leicht in blankem Kitsch. Gelingt die Paarung, dann entstehen so reiz- und spannungsvolle Gebilde wie die an Rosa gerichtete Hymne, die in siebensilbigen Versen davon berichtet, dass die Eltern eine Kamera gekauft haben, „Um: und bitte, nun höre: / Dich zu filmen am Tage / nicht allein, sondern, das glaubt / kein Schwein, auch in der Nächte / fahl mondschwangerem Zwielicht / dieses Aufgenommene – / als hätte der Herrgott ins / Hasenhirn uns gekniffen; / und als reichte es nicht, dass / wir, o Rosa! Dich um uns / haben im Grund‘ doch genug – / just diesen Schinken, sag ich, / uns dann abends auf der Couch: / drei bis viermal: ankucken!! / So neben der Spur sind und / den Arsch komplett auf haben, / Göttliche, Deine Eltern.“
Gsella hat sich, aller Übernächtigung und Ablenkung zum Trotz, die Neigung zu formaler Strenge bewahrt. Sein Stil ist, im Vergleich zum Debütband, kontrollierter geworden, sein Repertoire an Tonfällen noch reicher. Aus hundert Jahren Lyrikgeschichte freimütig schöpfend, verarbeitet er Vorlagen von Wilhelm Busch über Eugen Roth zu Robert Gernhardt, von Johannes R. Becher über Günter Eich zu Ror Wolf, aber keine andere Umarbeitung ist ihm so schön gelungen wie die des Brecht’schen „Radwechsels“:
Ich sitze am Küchentisch.
Die Windel wechselt die Frau.
Ich habe die vorige gewechselt.
Ich werde die folgende wechseln.
Warum sehe ich den Windelwechsel
Mit Ungeduld?
Und wären die Illustrationen von Jutta Bauer nicht streckenweise arg unmotiviert und lieblos ausgefallen, dann gäbe es überhaupt nichts zu meckern.
(literaturkritik.de, 8/2001)

Gedichte über ein Baby und das Elterndasein enthält der zweite Lyrikband von Thomas Gsella. Ganze fünfundachtzig Stück hat er in anderthalbJahren verfaßt und dabei die nicht ganz leichte Aufgabe mit Bravour gelöst, einem Vorgang, der milliardenfach zuvor mehr oder weniger identisch vonstatten gegangen war, immer neue und eigenen Seiten abzugewinnen: Ein Kind kommt auf die Welt, in diesem Fall seine 1999 geborene Tochter Rosa. Gsrellas Zyklus setzt ein, fünf Tage nachdem der seiner Partnerin ausbelibt, er spart seine Erschütterung üüber den positiven B-Text nicht aus und auch nicht seinen beschwörenden Lösungsvorschlag: „Du, Frau, ich hab’s: Wir machen’s wech!“ (…) Doch zum Glück versagen auch bei Gsella die Hormone ihren Dienst nicht: Er liebt seine Rosa, etwas über sich selbst verblüfft anfangs, dann immer inniger, und diese Liebe ist es, die als Gegengewicht zur ironischen Distant seine Gedichte immer wieder glücklich die Gefahren meistern läßt, die aller komischenSchreibart lauern. Ironie ohne Liebe bleibt meist blasiert, Liebe ohne Ironie versumpft schnell im blaken Kitsch. Gelingt die Paasrung, dann entstehen so reiz- und spannungsvolle Gebilde wie diese.“ (Berliner Zeitung)

Thomas Gsella ist auf seine alten Tage Vater geworden, und er hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, aber eben keinen drögen Lebenshilfe-Ratgeber und auch keine dies gefühlsduseligen Ich-habe-einKind-und-mein-Leben-hat-einen-neuen-Sinn-Selbsterfahrungs-Schwurbeleien, sondern einen erfrischend fröhlichen und selbstironischen Gedichtband. Er hat die Schwangerschaft und das legendäre ersteBabyjahr bedichtet, daß es eine Freude ist. Sein Büchlein wird all den jungen Eltern die Tränen in die Augen treiben, vor Lachen, vor Wiedererkennen und auch ein bißchen vor Wehmut.“ (Magazin)

Windelwechsel und Superriesenmöpse

Thomas Gsellas „Kille Kuckuck Dideldei. Gedichte mit Säugling“

Von Klaus Cäsar Zehrer

Dass der mittlerweile dreiundvierzigjährige Nachwuchsdichter Thomas Gsella zu schönsten Hoffnungen Anlass gebe, habe ich in diesem Forum bereits in der Ausgabe vom Dezember 1999 bemerkt. Sein zweiter Gedichtband hat jetzt meine Hoffnungen aufs Erfreulichste bestätigt, obwohl alle fünfundachtzig Gedichte um ein Thema kreisen, das mich nicht wirklich etwas angeht: Seine 1999 geborene Tochter Rosa.

Nun besteht ja nicht unbedingt ein Mangel an Reimwerk über Kleinkinder aus der Feder stolzer Eltern. Einschlägige Zeitschriften drucken auf ihren Leserbriefseiten immer wieder ein „Gedicht der Woche“, in dem sich „Mutterglück“ auf „bestes Stück“ und „süßer Fratz“ auf „lieber Schatz“ reimen. Erst Thomas Gsella aber blieb es vorbehalten, den schwierigen Beruf des Vaterwerdens und -seins in ambivalenteren und realitätsverpflichteteren Versen zu beschreiben, und zwar von allem Anfang an. Fünf Tage, nachdem der seiner Partnerin Ursula ausbleibt, setzt sein Zyklus ein. Er spart das niederschmetternd positive Ergebnis des B-Tests nicht aus und auch nicht des Dichters beschwörenden Lösungsvorschlag: „Du, Frau, ich hab’s: Wir machen’s wech!“

Ein Vorschlag, der sich, wie wir bereits wissen, nicht durchsetzen konnte, was einem Menschen und einem Buch zur Existenz verhalf. In Letzterem teilt uns Gsella seine Freude darüber mit, „dass zwei Superriesenmöpse / prangen itzt an meiner Ollen“, lässt uns aber auch dabei sein, wenn „das Kind aus tiefstem Grund / mir auf Hemd und Hose kotzt.“ Es wird überhaupt, was freilich in der Natur des Themas begründet liegt, etwas arg viel gekotzt, geschissen und gepisst in dem Bändchen. Auf solch glitschiger Grundlage rutscht man schnell ab in jenen wohlfeilen Modezynismus, der heutiges satirisches Schreiben der unteren Kategorie bestimmt und der sich in der ewig bekräftigten Botschaft gefällt, dass die Welt im Allgemeinen unheimlich eklig und verschissen und Säuglinge im Speziellen nutzlose Quälgeister sind.

Doch billigem Baby-Bashing ergibt sich Gsella nicht. Denn natürlich versagen auch bei ihm die Hormone nicht ihren Dienst: Er liebt seine Rosa, etwas über sich selbst verblüfft anfangs, dann immer inniger. Und diese Liebe ist es, die als Gegengewicht zur ironischen Distanz seine Gedichte immer wieder glücklich die Gefahren meistern lässt, die aller komischen Schreibart lauern: Ironie ohne Liebe erfriert meist in Coolness, Liebe ohne Ironie versumpft leicht in blankem Kitsch. Gelingt die Paarung, dann entstehen so reiz- und spannungsvolle Gebilde wie die an Rosa gerichtete Hymne, die in siebensilbigen Versen davon berichtet, dass die Eltern eine Kamera gekauft haben, „Um: und bitte, nun höre: / Dich zu filmen am Tage / nicht allein, sondern, das glaubt / kein Schwein, auch in der Nächte / fahl mondschwangerem Zwielicht / dieses Aufgenommene – / als hätte der Herrgott ins / Hasenhirn uns gekniffen; / und als reichte es nicht, dass / wir, o Rosa! Dich um uns / haben im Grund‘ doch genug – / just diesen Schinken, sag ich, / uns dann abends auf der Couch: / drei bis viermal: ankucken!! / So neben der Spur sind und / den Arsch komplett auf haben, / Göttliche, Deine Eltern.“

Gsella hat sich, aller Übernächtigung und Ablenkung zum Trotz, die Neigung zu formaler Strenge bewahrt. Sein Stil ist, im Vergleich zum Debütband, kontrollierter geworden, sein Repertoire an Tonfällen noch reicher. Aus hundert Jahren Lyrikgeschichte freimütig schöpfend, verarbeitet er Vorlagen von Wilhelm Busch über Eugen Roth zu Robert Gernhardt, von Johannes R. Becher über Günter Eich zu Ror Wolf, aber keine andere Umarbeitung ist ihm so schön gelungen wie die des Brecht’schen „Radwechsels“:

Ich sitze am Küchentisch.

Die Windel wechselt die Frau.

Ich habe die vorige gewechselt.

Ich werde die folgende wechseln.

Warum sehe ich den Windelwechsel

Mit Ungeduld?

Und wären die Illustrationen von Jutta Bauer nicht streckenweise arg unmotiviert und lieblos ausgefallen, dann gäbe es überhaupt nichts zu meckern.

(literaturkritik.de, 8/2001)